600 Jahre seit der ersten Erwähnung der Ratsapotheke!

Quelle: T. Aunaste, Raeapteek

600 Jahre seit der ersten Erwähnung der Ratsapotheke!

Die Ratsapotheke am Rathausplatz in der Tallinner Altstadt ist die älteste Apotheke Europas, die durchgehend in denselben Räumlichkeiten betrieben wurde. Das genaue Gründungsdatum ist zwar nicht bekannt, doch die Ratsapotheke wurde erstmals im Jahr 1422 in den schriftlichen Aufzeichnungen des Tallinner Rathauses erwähnt. Damit feiert die Ratsapotheke im Jahr 2022 ihr 600-jähriges Bestehen seit ihrer ersten Erwähnung!

Im Laufe ihrer langen Geschichte haben viele angesehene Männer in der Apotheke gearbeitet, aber besondere Anerkennung verdient vor allem eine Familie. Im Jahr 1580 begann nämlich der Ungar Johann Bélavary de Sycava seine Arbeit in der Ratsapotheke, wo er zunächst als Lehrling anfing, zwei Jahre später jedoch bezahlter Leiter der Apotheker wurde. In seiner Familie war es Tradition, dass der älteste Sohn immer Johann genannt und zum Apotheker ausgebildet wurde. So wurde die Ratsapotheke von Vater zu Sohn vererbt und war von 1582 bis 1911 über zehn Generationen hinweg im Besitz der Familie Burchart.

Danach (1911–1940) gehörte die Ratsapotheke den neuen Eigentümerfamilien Lehbert und Schneider. Die Ratsapotheke gilt auch als Geburtsort der estnischen Pharmaindustrie und als älteste medizinische Einrichtung Estlands.

Die Ratsapotheke. Frühling 1889

Foto: Ratsapotheke

Darüber hinaus ist die Ratsapotheke auch das älteste bis heute ununterbrochen tätige Unternehmen in Tallinn. Dort wurde zu allen Zeiten nicht nur mit Medikamenten, sondern mit verschiedenen Produkten gehandelt. So konnte man früher Tinte, Papier, Stoffe, Tabak, Pfeifen und sogar Schießpulver, aber auch Salz, Gewürze und Süßigkeiten in der Apotheke kaufen. Noch heute kann man in der Ratsapotheke den berühmten würzigen Klarett-Wein kaufen, der bereits 1467 in der Apotheke hergestellt und verkauft wurde. In der Ratsapotheke ist auch Marzipan erhältlich. Das Revaler Marzipan war zur Hansezeit übrigens eines der berühmtesten Marzipans Nordeuropas!


Die Ratsapotheke früher und heute

Heute arbeitet die Ratsapotheke Hand in Hand mit einem Museum, das von der Stadt Tallinn unterstützt wird. Im Museumsteil der Apotheke sind Apothekenzubehör sowie einige für eine mittelalterliche Apotheke typische Symbole zu sehen. So hängt zum Beispiel ein Krokodil von der Decke, das im Mittelalter das Geheimnisvolle der Apothekerarbeit betonte und gleichzeitig den Apotheker und sein Eigentum beschützen sollte. Das heutige Symbol – eine Schlange mit einem Pokal – wurde erst im 20. Jahrhundert eingeführt.

Die farbigen Behälter auf der Fensterbank markierten jedoch den Standort der Apotheke und symbolisieren Körperflüssigkeiten: Rot steht für Blut und Blau für Schleim, das heißt sie symbolisieren warme und kalte Körperflüssigkeiten. Man glaubte, dass eine Person gesund sei, wenn die Körperflüssigkeiten im Gleichgewicht sind. Diese Schilder waren wichtig, denn sie halfen denen, die nicht lesen konnten, sich in der Apotheke zurechtzufinden.

Obwohl im Mittelalter meist mit Heilpflanzen behandelt wurde, wurden auch recht häufig Rohstoffe tierischen Ursprungs verwendet. Einige Behandlungen waren besonders seltsam: Beispielsweise wurde Igelurin als Augentropfen und Regenwurmöl zur Stärkung des Immunsystems verwendet und Mumienstücke wurden gegessen, um Erbrechen auszulösen, was ein wirksames Mittel zur Austreibung von Krankheiten, einschließlich Vergiftungen, war. Aber Kröten wurden zum Beispiel einfach an die Decke gehängt, um die Pest abzuwehren.

In der Vitrine der Ratsapotheke ist außerdem eine mittelalterliche Pestmaske zu sehen, die von Pestärzten und Apothekern getragen wurde. In den langen Schnabel der Maske wurden stark riechende Kräuter oder ein Essigschwamm gesteckt, um sich vor den sogenannten bösen Gerüchen zu schützen, von denen angenommen wurde, dass sie die Pest verursachen.

Das Museum der Ratsapotheke organisiert das ganze Jahr über für alle Interessenten Führungen und Workshops. Dort wird zum Beispiel das Kräutersalz der Ratsapotheke hergestellt, bei dem neben Heilpflanzen auch Wacholderbeeren in das Salz gestampft werden. Die alten Esten glaubten nämlich, dass Wacholder die Wirkung von neun Ärzten hat. Bei Kindern ist auch der Marzipan-Workshop beliebt, wo unter anderem über die berühmte Marzipan-Legende gesprochen wird, nach der diese Leckerei zum ersten Mal gerade hier, in der Ratsapotheke in Estland, erfunden wurde. Marzipan wurde ursprünglich als Medizin in Apotheken verkauft und vor allem zur Gedächtnisförderung empfohlen, ist aber auch als Heilmittel gegen Liebeskummer bekannt.

Im Kellersaal der Ratsapotheke finden Workshops und Veranstaltungen statt

Foto: Birgitta Laanmets


Feier eines stolzen Jubiläums

Die Ratsapotheke feiert ihr Jubiläumsjahr mit mehreren über das Jahr verteilten Veranstaltungen. Einmal im Monat, donnerstagabends, lädt die Ratsapotheke zu sogenannten Jubiläumsvorträgen ein, bei denen Historiker und andere Spezialisten ihres Fachs zu Gast sind, die die Ratsapotheke aus unterschiedlichen Perspektiven, aber auch ganz allgemein das mittelalterliche Leben vorstellen und dabei unter anderem auf das Essen und Trinken jener Zeit eingehen. Melden Sie sich schon jetzt zur Teilnahme an einem Vortrag an!

In Zusammenarbeit mit dem Tallinner Lehrerhaus wird auch das Abenteuerspiel des Apothekers Melchior organisiert, bei dem auf die Vorstellung der Ratsapotheke mit Klarett-Weinverkostung eine aktive Tour durch die Altstadt folgt, die zu den im gleichnamigen Roman (des Autors Indrek Hargla) erwähnten Orten führt. Das Spiel eignet sich gut als Teamtraining, man kann aber auch einfach mit Familie oder Freunden daran teilnehmen.

Im April finden samstags (am 9., 16. und 23. April) die sogenannten Familientage in der Ratsapotheke statt, bei denen Gäste an einer kostenlosen Führung im Museum teilnehmen und bei Interesse den Workshop im Kellersaal besuchen können. Große und kleine Besucher sowie alle alten und neuen Freunde der Ratsapotheke sind herzlich willkommen. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Ratsapotheke.

Um das Jubiläum der Ratsapotheke zu feiern, bringt die estnische Post Omniva auch die internationale Briefmarke Ratsapotheke 600 auf den Markt, die ab dem 9. April in der Ratsapotheke erhältlich sein wird. Außerdem wird die Broschüre der Ratsapotheke aktualisiert und das bildreiche Buch „Ratsapotheke 600" (verfasst von Prof. Ain Raal) herausgegeben.

  • Die Webseite der Ratsapotheke bietet weitere Informationen für alle, die am Programm des Museums teilnehmen möchten. Führungen und Workshops werden für einheimische sowie ausländische Gäste und für Erwachsene sowie Kinder organisiert. Fühlen Sie sich frei uns zu kontaktieren, um mehr zu erfahren!
  • Inhaber der Tallinn Card erwartet in der Ratsapotheke eine süße Überraschung!
  • Für einzelne Besucher, Kinder, Familien usw. ist der Besuch des Museums kostenlos, aber für Gruppen ab zehn Personen gibt es Sonderregelungen, über die Sie sich auf Webseite informieren können.
  • Die Ratsapotheke nimmt auch an der Museumsnacht, den Tallinner Mittelaltertagen und den Tallinner Altstadttagen teil.



Zuletzt aktualisiert: 29.03.2022

Thema: Tallinn, Geschichte & Kultur