Stand der erste Weihnachtsbaum Europas auf dem Tallinner Rathausplatz?

Quelle: Riho Kirss, Visit Estonia

Stand der erste Weihnachtsbaum Europas auf dem Tallinner Rathausplatz?

Wurde auf dem Rathausplatz in Tallinn vor Jahrhunderten tatsächlich innerstädtisch der erste Weihnachtsbaum Europas aufgestellt? Und wurde damit eine Tradition begründet? Wir gehen der Legende nach – und stimmen Sie gern auch sonst schonmal ein bisschen auf Weihnachten ein.

Die Legende besagt, dass der erste Weihnachtsbaum 1441 von der Bruderschaft der Schwarzhäupter, einer livländischen Kaufmannsvereinigung, nach Tallinn gebracht wurde. Sollte das wahr sein, wäre dies der erste Weihnachtsbaum auf einem Stadtplatz in ganz Europa gewesen. Die Stadt Riga bestreitet diese Behauptung jedoch vehement. Angeblich hat die Bruderschaft der Schwarzhäupter dort etwa zur gleichen Zeit eine ähnliche Tradition begründet.

Der erste Weihnachtsbaum Europas – nur eine Legende?

Stand hier der erste Weihnachtsbaum Europas?

Jedenfalls ein Stück Geschichte: der Weihnachtsbaum auf dem Tallinner Weihnachtsmarkt

Foto: Riho Kirss, Visit Estonia

Die Historikerin Anu Mänd hat allerdings mittlerweile gezeigt, dass beide Behauptungen –¬ diejenige aus Tallinn und diejenige aus Riga – durchaus nichts weiter als eine Legende sein könnten.

Wie ist diese Legende entstanden? Im Fall von Tallinn begann sie wahrscheinlich mit einem Buch mit dem Titel "Die Geschichte der Tallinner Schwarzhäupter" aus dem Jahr 1885. Der Autor, der Hobbyhistoriker Friedrich Amelung, interpretierte das Wort "Baum" in den Quellen falsch und ersetzte es durch "Weihnachtsbaum". Er behauptete auch, dass die Schwarzhäupter den Weihnachtsbaum bereits 1441 und 1514 verbrannt hätten – die historischen Quellen belegen dies nicht.

Die Quellen erwähnen also "Baum", aber wir können nicht davon ausgehen, dass es der Weihnachtsbaum war. Außerdem bedeutet das Wort "bom" im Niederdeutschen nicht nur "Baum", sondern auch "Kronleuchter" und einige andere Dinge. Auch wenn die Schwarzköpfe einen Baum auf den Marktplatz trugen, war es kein "städtischer" Baum. Vielmehr war er Teil der Feierlichkeiten der Schwarzhäupter; die Bürger Tallinns waren dort nicht willkommen. Außerdem gibt es keine Beweise dafür, dass die Tradition, zu Weihnachten einen Baum auf den Marktplatz zu tragen, über die Jahrhunderte hinweg bis in die Neuzeit fortgesetzt wurde.

Fast, aber nicht nur!

Blick auf den weihnachtlichen Rathausplatz

Das Herzstück des Weihnachtsmarktes ist der wunderschöne Weihnachtsbaum

Foto: Hans Markus Antson, Visit Estonia

Kommen wir zurück zur Legende. Im Jahr 1984 verwendete der Schriftsteller und zweite Präsident Estlands, Lennart Meri, Amelungs Veröffentlichung in seinem Buch "Hõbevalge". Meri und Amelung inspirierten ihrerseits den estnischen Historiker Jüri Kuuskemaa, der das Thema 1996 in die estnischen Medien brachte. So entstand die Legende vom ältesten städtischen Weihnachtsbaum Europas.

Was hingegen sicher ist: Das Tragen des Baumes in das Herz Tallinns entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem echten Event, das sogar Peter den Großen, den Kaiser von Russland, anlockte. Er nahm im Jahr 1711 an der Veranstaltung teil.

Die Auswahl des Weihnachtsbaumes für den Tallinner Rathausplatz

Heutzutage wird der Weihnachtsbaum auf dem Tallinner Rathausplatz alljährlich sorgsam ausgewählt; es gelten hohe Standards für sein Aussehen und seine Größe. Über alles, was mit dem Baum zu tun hat – seine Auswahl, den Transport, das Aufstellen und Schmücken –wird im estnischen Fernsehen ausführlich berichtet. Der Baum darf nicht höher als 18 m sein, muss gleichmäßig verzweigt, robust und vorzugsweise von tiefgrüner Farbe sein. Natürlich muss der Baum aus Estland stammen. Die Ankunft auf dem Rathausplatz wird vorher angekündigt; und vor Ort warten dann in jedem Jahr bereits Journalisten und etliche Bürger auf sein Eintreffen.

Der Tallinner Weihnachtsmarkt

Marktstände auf dem Tallinner Weihnachtsmarkt

Der Weihnachtsmarkt in Tallinn bietet eine große Auswahl an Kunsthandwerk, Leckereien und Geschenken. 

Foto: Sergei Zjuganov, Visit Estonia

Der Tallinner Weihnachtsmarkt findet seit 1991 auf dem Rathausplatz statt und wurde 2019 von der Organisation European Best Destinations zum besten Weihnachtsmarkt in Europa gekürt. Neben dem Besuch des Weihnachtsmanns bietet der Markt auch Kunsthandwerksstände, typisch estnische Leckereien, wärmenden Glühwein, Karussells für Kinder und ein buntes Unterhaltungsprogramm. Der Weihnachtsmarkt wird 2022 am 25. November mit Inbetriebnahme der Beleuchtung von Ständen und Baum eröffnet und kann dann bis zum 8. Januar 2023 besucht werden.

Mehr Geschichtsträchtiges auf dem Tallinner Rathausplatz

Im Inneren der Rathausapotheke

Foto: Toomas Tuul, Visit Tallinn

Auf dem Rathausplatz der estnischen Hauptstadt gibt es nicht nur eine historische Weihnachtsbaumtradition. Die Rathausapotheke ist sowohl die älteste Apotheke Estlands als auch eine der ältesten in Europa, die bis heute ununterbrochen in Betrieb gewesen ist. Die Rathausapotheke ist seit ihrer Eröffnung im Jahr 1422 in denselben Räumlichkeiten untergebracht. Obwohl das genaue Datum der Gründung nicht bekannt ist, gehen die ersten schriftlichen Aufzeichnungen über die Apotheke im Notizbuch des Rathauses auf das Jahr 1422 zurück.


Zuletzt aktualisiert: 05.12.2022