Raum und Zeit enthoben und doch ganz tief im Leben – ein Besuch im Arvo Pärt-Zentrum

Quelle: Christopher Braun, Visit Estonia

Raum und Zeit enthoben und doch ganz tief im Leben – ein Besuch im Arvo Pärt-Zentrum


Text:

Felix Hau


2018 wurde in Laulasmaa, rund 40 Kilometer westlich von Tallinn, das Arvo Pärt-Zentrum zu Ehren des berühmten estnischen Komponisten eröffnet. Unser Autor war kürzlich dort und ist beeindruckt.


Es ist natürlich Absicht, dass der Besucherparkplatz des Arvo Pärt-Zentrums nicht unmittelbar am Gebäude platziert wurde. 200 Meter Fußweg trennen ihn vom Eingang. Der Weg führt, leicht bergab, durch den dichten Kiefernwald und man spürt, während man ihn aufmerksam begeht, dass sich in einem selbst ein Sinn für den Wald aufschließt: Man nimmt mit einem Mal das Rauschen der Wipfel im Wind wahr, das Knacken von Zweigen, das Licht, das sich – je nach Wetterlage und Sonnenstand – seinen Weg durch die Bäume bahnt. Mit jedem Schritt wird man ruhiger und achtsamer.


Harmonisch in den Wald eingefügt

Foto: Tõnu Tunnel, Visit Estonia


Das Arvo Pärt-Zentrum ist mitten in diesen Wald gebaut worden; so wenig Bäume wie möglich sollten weichen müssen. Das Vorhaben, eine Architektur zu verwirklichen, die sich in die umgebende Natur fügt, ist sehr gut gelungen. Wenn das Gebäude schließlich in den Blick gerät, stört da nichts das Einvernehmen mit dem Wald, das man soeben hergestellt hat und die Harmonie, in die man immer weiter eintaucht.

Die organische, offene Bauweise mit vielen großen Fensterflächen ermöglicht es dem Besucher, sich auch im Gebäude als Teil des Waldes zu erleben, denn der bleibt überall zum Greifen nah und immer Bezugspunkt.


Auch innen bleibt man Teil des Waldes

Foto: Felix Hau, Visit Estonia


Mitten in lebendigem Geschehen

Das Zentrum ist einerseits ein Denkmal zu Ehren Arvo Pärts. Es ist dabei aber kein übliches Museum, denn andererseits ist es so etwas wie der Kulminationspunkt der Biographie Pärts. Man kann sich hier anhand von Fotos und regelmäßigen Filmvorführungen natürlich auch in sein Leben vertiefen.


Biografische Stationen Arvo Pärts

Foto: Felix Hau, Visit Estona


Der eigentliche Punkt ist aber: dieses Zentrum lebt! Es ist Begegnungsstätte, Arbeitsraum und Aufführungsort für viele estnische und internationale Schüler und Bewunderer Pärts, für Musikwissenschaftler und Künstler – und nicht zuletzt für Pärt selbst, der mit seiner Frau ganz in der Nähe lebt und hier sein privates Studio eingerichtet hat.



Neben dem schönen Konzertsaal und der großen Bibliothek mit Partituren, Aufzeichnungen, und Büchern Arvo Pärts gibt es Seminar- und Arbeitsräume, die eifrig genutzt werden, auch während der regulären Öffnungszeiten, was den außergewöhnlichen Eindruck verstärkt, mitten in einem gegenwärtigen Geschehen zu stehen und es miterleben zu dürfen.


Jenseits von Raum und Zeit

Apropos Miterleben: Man sollte sich von den freundlichen Mitarbeitern am Empfang unbedingt den Audio-Guide aushändigen lassen (kostenlos; als Sicherheit wird der Personalausweis hinterlegt), wenn man seine Eintrittsgebühr entrichtet. Es handelt sich bei dieser kleinen Harddisk mit Kopfhörern eigentlich gar nicht um einen Audio-Guide im üblichen Sinn. Natürlich kann man damit auch nochmals Arvo Pärts Biographie studieren, viel wichtiger ist aber: Man kann Arvo Pärts Musik hören, während man durch das schöne Gebäude schlendert, in einem der bequemen Ruhesessel Platz nimmt, die Kapelle im Innenhof besucht oder – auch das ist gestattet – das Gebäude verlässt und in der näheren Umgebung durch den Wald spaziert.


Ausblick vom Turm des Zentrums

Foto: Christopher Braun, Visit Estonia


Dieses Erlebnis ist mein persönliches Highlight des Besuches: Mit Arvo Pärts „Da Pacem" auf den Ohren im Wald zu stehen (oder von dem hohen Stahlturm des Zentrums über die Bucht von Laulasmaa zu blicken) – das hat mich mitten ins Herz getroffen. Es enthebt dich den Grenzen von Zeit und Raum und katapultiert dich gleichzeitig ganz tief ins Leben hinein ....

Es ist einfach unbeschreiblich schön. Wer bislang noch kein Arvo Pärt-Fan war, wird es hier wahrscheinlich werden.


Zuletzt aktualisiert: 11.09.2020

Thema: Tallinn, Nordestland, Geschichte & Kultur