Die estnische Küche aus Sicht der Chefköche

Quelle: Renee Altrov, Visit Estonia

Die estnische Küche aus Sicht der Chefköche

Die estnische Küche ist unsere Tradition der Essenszubereitung, unsere nationalen Gerichte, de Auswahl der Zutaten und ihr Verzehr. Die Geschichte des Essens und der Essgewohnheiten der Esten ist eng verbunden mit der Natur und der Umwelt, die uns umgibt. Welches Bild haben bekannte estnische Chefköche von der estnischen Küche? Das schildern uns Angelica Udeküll, Taigo Lepik, Tarvo Kullama, Joonas Koppel und Inga Paenurm.


Das Brot ist älter als wir

Foto: Kaspar Orasmäe, Visit Estonia


Estnisches Essen im Laufe der Zeit

Obwohl der Este immer Bauer gewesen ist und seine Früchte und Tiere auf seinem Land selbst angebaut und gezüchtet hat, war der Essenstisch im Laufe der Zeit immer eher bescheiden als üppig gedeckt. Bei der Zubereitung des Essens dachte man daran, wie man nicht zu viel Zeit vergeudet, also wurde es in einem großen Kessel zubereitet, aus dem man gemeinsam als Familie aß. Wir haben vier Jahreszeiten und in jeder Jahreszeit hatten die estnischen Essensgewohnheiten ihren eigentümlichen Charakter und ein eigenes Aussehen. So gab es im Frühjahr kein Fleisch mehr, wenn die Kühe wieder anfingen, Milch zu geben, deshalb hatten Milch und Milchprodukte im Frühling einen besonderen Platz auf dem Essenstisch.

Im Laufe der Zeit wurde die estnische Essenskultur stark durch die Gutsküche beeinflusst. In der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen zwei wichtige Neuerungen zur hiesigen Essenszubereitung hinzu: der Herd und die Kartoffel. Vor der Kartoffel war das wichtigste Gericht auf dem Tisch der Esten das Brot, ebenso Kohl, Steck- und Speiserüben und im Sommer auch Erbsen und Linsen. Dank des Herds begann man, dass Essen zu braten und im Laufe der Zeit das Essen auch zu konservieren.

Entstehung

Foto: Alexander Gu, Visit Estonia

Als uns zu Beginn des 20. Jahrhunderts die industrielle Revolution erreichte, gingen viele Bauern auf der Suche nach Glück in die Stadt. Dadurch änderte sich allerdings, welches Essen bei Ihnen auf den Tisch kam, zu welchen Nahrungsmitteln sie Zugang hatten und Ihre Ernährungsgewohnheiten. Mit Ankunft der ersten estnischen Republik traf auch das erste goldene Zeitalter der estnischen Küche ein. Das Stadtbild wurde um Geschäfte und Märkte erweitert, Cafés und Restaurants wurden auch von Esten gegründet.

Der wichtigste Fisch auf dem Tisch war der Ostseehering, aber vertreten waren auch Zander, Forelle, Hecht und Stint, in den Dörfern kam auch der gewöhnliche Hering auf den Tisch. Kaffee, Reis und verschiedene Gewürze sowie Rohrzucker wurden leichter zugänglich (vorher wurden Zucker aus Nutzpflanzen und Honig verwendet). Auch die Bezeichnung für die Gerichte änderte sich: beispielsweise verwendete man statt „kört“, „leem“ und „roog“ nun einen Sammelbegriff, nämlich „supp“ (Suppe). Kochbücher begannen sich zu verbreiten und Kochkurse gewannen an Popularität. In den Städten bildete sich eine Café- und Restaurantkultur.

All dies ging jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg zurück und die Folgezeit wurde als Stillstand in der Geschichte der estnischen Küche bekannt. Geschmacksgewohnheiten wurden durch neue ersetzt, es entstanden Kantinen mit den aufs Gramm genau gleichen Rezepten und Preisen. Restaurants waren eher Tanz- und Begegnungsstätten als Feinschmeckerlokale, die Gerichte waren nichts Besonderes.

Der Stillstand dauerte bis zur Wiedergeburt der neuen Republik, als sich die Grenzen öffneten und wieder köstlichere Aromen und Köche aus dem Ausland, neue Zutaten und neuartige Kochtechniken zu uns kamen. Zu dieser Zeit entstand die Generation unserer älteren Köche von heute.

Das neue Jahrhundert brachte auch in die kulinarische Welt frischen Wind mit neuen Zutaten, Arbeitsverfahren und Technologien. Uns erreichten die Küchen der Welt und neue spannende Geschmäcker. Heute haben wir den Punkt erreicht, wo wir unsere eigenen Zutaten verwenden, viele renommierte Chefköche und besondere Restaurants haben. Dadurch sind wir mit dem Rest der Welt verbunden, ohne dass wir unsere eigenen Essenstraditionen vergessen.

Frisches Jahrhundert, frische Winde

Foto: Renee Altrov, Visit Estonia


Wie geht es weiter?

Heute sind die Chefköche besorgt, dass die estnische Jugend zu schnell vom Pfad des guten Essens abkommt und zu viele Fertiggerichte konsumiert werden. Das gemeinsame Kochen mit der Familie und Freunden ist etwas Wertvolles, bei dem man seine Aktivitäten, Wünsche und Emotionen vom Tag teilt. Neben der akademischen Ausbildung könnte man in der Schule auch Grundwissen über das Essen erlangen, darüber, wie man schnell, gut und einfach Essen zubereitet. Das estnische Essen ist interessant und steckt voller Möglichkeiten. Das Fachgebiet eines Kochs ist schwierig, aber auch sehr spannend und kreativ und bietet eine Vielzahl von Herausforderungen. Es handelt sich nicht nur um Arbeit, sondern um eine Leidenschaft, eine Arbeit zu dem, was man macht.

Im Herbst 2019 besuchten 43 estnische Chefköche zusammen mit dem Ministerium für Landwirtschaft die allgemeinbildenden Schulen Estlands im Rahmen des tollen Gemeinschaftsprojekts „Chefköche in den Schulen“. Sie gaben Hauswirtschaftsunterricht, kochten mit den Kindern und stellten die Grundlagen des Kochens vor. Im Laufe dieses Projekts entstand Material mit 20 Rezepten, das auch praktische Lernvideos enthält.

Zuletzt aktualisiert: 25.07.2022

Thema: Essen, Trinken & Nachtleben